Shuttlebusfahrt mit kleinen Problemen
Um 7:00 geht es los. Eigentlich wollten wir einen früheren Shuttlebus nehmen, aber bedingt durch das schlechte Wetter und den Überschwemmungen der letzten Tage ist dies tatsächlich die frühste Option, die im gesamten Whakapapa Village angeboten wird. Der altersschwache Bus von ROAM hoppelt zwar pünktlich los (die Stoßdämpfer sind so fertig, dass der Bus schon auf die kleinsten Steinchen mit endlosem Gehüpfe reagiert) – bleibt dann aber nach circa 1 km liegen. Also müssen wir knapp 30 Minuten warten bis ein weiterer uralter Ersatzbus anrollt. Während wir unsere Kontaktdaten in einer Liste notieren, werden wir darauf aufmerksam gemacht, dass der letzte Bus um 17:30 zurückfährt. Wer sich bis zu 15 Minuten später nicht am Parkplatz eingefunden und telefonisch gemeldet hat, wird zuerst von den Shuttlebusbetreibern (was 50 NZD pro Person zusätzlich kostet) und dann gegebenenfalls sogar von Rettungskräften gesucht, was den Preis natürlich ins Unbezahlbare steigen lässt.
Außerdem wird uns die Wandertour mit ihren Zusatzoptionen erklärt. Von einer Besteigung des Mount Ngauruhoe (auch bekannt als Mount Doom) wird uns abgeraten, da Schnee und Eis zu dieser Jahreszeit am Gipfel Steigeisen erfordern. Zudem sind wir nun schon sehr spät dran, so dass die Masse an Wanderen vor uns eine erhebliche Gefahr darstellt Steinschläge auszulösen. Also ohne Helm generell nicht die beste Idee plus der Tatsache, dass uns die Zeit dafür wahrscheinlich sowieso nicht reichen würde. Wir beschließen auf das Risiko zu verzichten und dafür stattdessen den Extraweg zum Gipfel des Mount Tongariro mitzunehmen.
Menschenmassen
Als wir am Mangatepopo Parkplatz ankommen, sind wir erstmal ziemlich geschockt. Wir wussten natürlich, dass dies die populärste Tageswanderung auf der Nordinsel ist. Allerdings ist es doch nochmal etwas anderes, wenn man die Menschenmassen dann tatsächlich vor sich sieht. Irgendwie hat man ja immer ein Fünkchen Hoffnung, dass einige Leute doch von der recht anspruchsvollen Wanderung abgeschreckt werden oder nicht flexibel genug sind, um am einzigen wettertechnisch akzeptablen Tag im Tongariro Nationalpark anzukommen.
Pustekuchen – der Parkplatz ist voll mit riesigen Reisebussen, unzähligen kleineren Shuttlebussen und einer nicht unerheblichen Zahl von Privatfahrzeugen. Und das zur Nebensaison! Mit hundert anderen Wanderern vor und hinter uns marschieren wir in einer Reihe auf dem engen Wanderweg. Immer unterbrochen von den neonfarbenen Trail-Runnern, die diese Tageswanderung mit einem 10 L Rucksack bestreiten (trinken die eigentlich nichts?), den Leggings -und Sneakergirls, die an jeder Ecke für ein Selfie mit ihren Freundinnen posieren, den Obenohne-Jungs, die schon von Weitem mit ihrer neusten Spotifyliste per Handy auf sich aufmerksam machen (man, klinge ich gerade spießig) und den Wander-Dränglern (erst überholen sie dich schwer keuchend ohne Körperspannung, um dann 10 Minuten später an der nächsten Kurve wieder ausgiebig zu pausieren).
Zum Pinkeln gibt es am Berg nicht viele Möglichkeiten, da an jeder Ecke gefühlt 100 andere Menschen stehen und die Natur nicht gerade viel Sichtschutz bietet. Davon mal abgesehen, dass dies schon aus ethischen und ökologischen Gründen nicht die beste Idee wäre. Also sollte man frühzeitig die Toiletten an den Soda Springs und zum Ende der Wanderung am Ketetahi Shelter benutzen. Ansonsten könnte es unangenehm werden, da zwischen diesen beiden Möglichkeiten 3-4 Stunden Wanderzeit durch offenes Terrain liegen… ;)
Mangatepopo Valley
Anfangs führt die Wanderung über einen Holzsteg tiefer ins Mangatepopo Tal. Dabei ständig mit Blick auf den faszinierenden und teilweise schneebedeckten Mount Ngauruhoe. Ein aktiver Vulkan, der mit 2291 Metern den höchsten Gipfel des Tongariro-Massivs darstellt. Nach einem kurzen Abstecher zu den Soda Springs geht es stetig bergauf an zwei alten Lavaströmen vorbei zum South Crater. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Der Wind wird stärker, es wird deutlich kälter und teilweise ist der Weg durch Ketten gesichert. Selfies sind nicht mehr zu sehen und auch überholt wird jetzt selten: die Leute geben sich damit zufrieden, hinter den anderen herzuwandern. Oben angekommen hat man einen unglaublichen Blick auf Mount Doom, den Red Crater, die Mondlandschaft des Tongariro und den Blue Lake.
Auf dem Gipfel des Mount Tongariro
Wir biegen auf den kleinen Umweg zum Gipfel des Tongariro Vulkans ab (circa 1,5 Stunden hin -und zurück). Der starke Wind bläst uns hier fast vom Grat. Jetzt wird uns klar, wieso das Alpine Crossing nur bei absolut stabilem Wetter möglich ist. Noch stärkerer Wind oder sogar Nebel kann schnell lebensgefährlich werden. Im Windschatten und Sonnenschein kauern wir uns hinter einen kleinen Felsvorsprung und essen unser Lunchpaket bei einem unglaublichen Ausblick (noch unglaublicher als die Tatsache, dass das Lunchpaket bis hierhin unangetastet geblieben ist). Diese Landschaft ist wahnsinnig surreal, abwechslungsreich, einfach nicht von dieser Welt. Die Vielfalt an unterschiedlichen Farben reicht von Magmarot zu Eisblau zu Giftgelb und wieder zurück zu Naturbraun. Der 360° Panoramablick, der bis zum Mount Taranki reicht (leider wird er momentan vom Mount Ngauruhoe verdeckt) zieht uns die Schuhe aus.
Über Schnee, Lavageröll und Matsch besteigen wir den Gipfel des Mount Tongariro auf 1967 Metern. Doof, wer mit nichts außer seinen brilliantweißen Nikes hierher gekommen ist…😂 Der Ausblick von oben ist dann das I-Tüpfelchen der Fotooptionen. Sogar der schneebedeckte Mount Ruapehu ist von hier im Hintergrund zu sehen. Einfach Wahnsinn! Zusammen mit ein paar anderen quetschen wir uns auf die Lavasteine am Rand des Kraters und genießen den warmen Boden unter unseren Hintern. Zu lange können wir allerdings nicht verweilen, da wir sonst den letzten Bus um 17:30 nicht mehr erwischen. 17:30 oder 16:30? Stefan schwört, dass es 16:30 ist. Oh man, das schaffen wir doch nie! Jetzt aber Gas!
Emerald Lakes
Nach dem Gipfelabstieg zurück zum aktiven Red Crater auf 1886 Metern wandern wir den sandigen Weg bergab zu den Emerald Lakes. Okay, wir schlittern ihn eher hinunter, denn von Gehen kann bei dem steilen Geröllhang keine Rede mehr sein. Eingerahmt von thermalem Dampf protzen die Emerald Lakes mit Farben, die man eigentlich aus einem Malkasten kennt. Über alldem liegt dieser „Faulige-Eier-Geruch“ von Schwefel in der Luft. Er macht uns bei jedem Schritt klar, dass wir uns tatsächlich in einer thermal aktiven Zone aufhalten, in der ständig mit Eruptionen zu rechnen ist. Wir treffen ein Pärchen aus unserem Shuttlebus. Sie scheinen zwar ähnlich verwirrt wie wir, sind sich aber immerhin einig, dass der letzte Bus um 17:30 fährt. Erleichterung stellt sich ein (gepaart mit der Freude, dass ich natürlich Recht hatte ;) ).
Der Abstieg
Hinter dem für Maoris heiligen und wunderschönen Blue Lake beginnt der Abstieg am Rand des Nordkraters über schier endlose Holzsteg-Serpentinen durch karges Vulkan/Blumengelände. Die Fumarolen und Schlaglöcher geben Hinweise auf die letzten Eruptionen von 2012. Die Ketetahi Hütte wurde damals so schwer beschädigt, dass Übernachtungen nicht mehr möglich sind. Oft werden wir jetzt von joggenden, nicht mehr ganz so gut gelaunten Menschen überholt, die das Ganze wohl etwas abkürzen oder auch einfach nur ihren Shuttlebus erreichen möchten. Ich frage mich dann immer: sind die eigentlich freiwillig hier oder hat die jemand entführt? Du sammelst doch nicht deinen Jahresurlaub, gibst einen Haufen Geld aus um 32 Stunden nach Ozeanien zu fliegen (und davon kann man bei den knapp 80% deutschen Neuseelandtouristen ausgehen) und wanderst dann 20 km durch eine exotische Mondlandschaft um ein Gesicht wie 7 Tage Regenwetter zu ziehen? Die Arbeit ist ewig weit weg, die Sonne scheint dir ins Gesicht und du polterst schlecht gelaunt mit 500 Meter Abstand zu deiner Frau dem Parkplatz entgegen?
Der Abstieg zieht auf jeden Fall an den Nerven. Nach gefühlten 10 km mit Blick auf Lake Taupo führt der Weg durch einen vogelreichen Wald, quert den Lavastrom vom Te Maari Crater und folgt schließlich dem Manga-a-te-tipua Fluss. Die Vegetation stellt dabei einen starken Kontrast zu der kargen Vulkanlandschaft dar. Wie warm es hier im Vergleich zu den oberen Höhenlagen ist! Stellenweise ist das Stehenbleiben durch Schilder untersagt, da der Te Maari Crater jederzeit wieder Lava und Gesteinsbrocken spucken könnte. Endlich, nach langem abwärts laufen erreichen wir den Ketetahi Parkplatz.
Nicht alle schaffen es pünktlich…
Als unser Shuttlebus schließlich 20 Minuten später ankommt, sind einige unserer Mitfahrer noch nicht da. Das wundert uns ehrlich gesagt nicht. Auch wir fanden die Tour fordernd und zeitlich ziemlich knapp bemessen. Vor allem wenn man bedenkt, dass wir nur eine größere Pause gemacht und auch auf längere Fotostopps verzichtet haben. Gut, wir haben zusätzlich den Tongariro-Gipfel bestiegen und sind gewiss nicht die schnellsten, aber sicher auch nicht die langsamsten Geher. 15 Minuten später fehlen noch immer 8 Leute. Der Bus fährt knallhart los, während die Fahrerin an einigen Stellen mit Netzabdeckung versucht, die Vermissten telefonisch zu erreichen. Das Problem liegt jedoch darin, dass man am unteren Teil der Wanderung ab der Ketetahi Hütte keinen Empfang mehr hat.
So kommt es wie es kommen muss: ein Kollege übernimmt ihre Tour, während sie zurückfährt und ihnen entgegenläuft. Wir haben keine Ahnung wie die Geschichte geendet ist, außer dass sie den 8 Leuten pro Person 50 Euro gekostet hat. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass dies eine Ausnahme war. Wieso gibt es also keinen zusätzlichen Spätzünderbus um 18.30? Oder wieso gibt es keinen früheren Bus morgens? Klar, wahrscheinlich wird es auch dann noch Menschen geben, die zu spät kommen weil sie jede Zusatzschleife mitnehmen oder an den einzelnen Spots zu lange pausieren. Aber ich glaube wirklich, dass es einigen Wanderern schlichtweg nicht möglich war noch schneller zu gehen (zumal die Geschwindigkeit auch stark durch das Wetter oder den anderen Touristen auf den engen Wegen limitiert wird). Und auch wir hatten ständig die Zeit im Nacken, da es einfach schwierig ist die weitere Strecke und Restwanderzeit abzuschätzen.
Würden wir das Alpine Crossing wiederholen?
Was wir nächstes Mal anders machen würden? Wir würden etwas später als die anderen Wanderer (so 9:00- 10:00) mit unserem eigenen Fahrzeug anreisen und den Mount Ngauruhoe besteigen. So läuft man an der steilen Geröllpassage nicht mehr Gefahr, dass die Vorauslaufenden Steine lostreten (denn die sind zu dem Zeitpunkt schon längst wieder unten). Je nach Fitnessgrad kann man anschließend zu den Emerald Lakes wandern und dann über den Aufstieg auch wieder absteigen. Den Tongariro-Gipfel kann man getrost auslassen wenn man zuvor die Ausblicke vom Mount Ngauruhoe genossen hat.
Definitiv ist eine Alpenüberquerung immer etwas verlockender als den Aufstieg auch wieder absteigen zu müssen, aber unserer Meinung nach ist die Strecke ab dem Blue Lake nur bedingt sehenswert. Stattdessen zieht er sich sehr in die Länge und beansprucht stellenweise stark sowohl die Nerven als auch die Kniegelenke. Startet man später und wandert den gleichen Weg wieder zurück, muss man sich die Landschaft nicht mehr mit 1000 anderen umherwuselnden Menschen teilen. Stattdessen kann man locker den Gipfel des Mount Doom besteigen, spart einen Haufen Geld und entgeht dem Zeitdruck. Wichtig ist hierbei aber, dass man jemanden über seine Wanderpläne informiert und ausreichend Taschenlampen mitnimmt. Mit warmer Kleidung und genug Licht könnte man den einfachen Abstieg bis zum Parkplatz zur Not auch noch in der Dämmerung wagen.
Als wir abends auf dem Campingplatz ankommen, füllen wir erstmal unsere Kohlenhydratspeicher mit einer Riesenportion Spaghetti wieder auf. Sind wir froh, dass die Campingküche durch die Heizstrahler ordentlich aufgewärmt wird. Völlig erschöpft kuscheln wir uns in unsere Schlafsäcke ein. Was für ein toller Tag! Und ja – trotz der zum Teil auch nervigen Menschenmassen: es war eine der landschaftlich schönsten Wanderungen unseres Lebens und definitiv ein Must-See in Neuseeland.
Wie ging es weiter?