Nationalpark Val Grande – Italiens größte Wildnis

In Europa, Italien by NaddlLeave a Comment

Du liebst es in den Bergen unterwegs zu sein ohne ständig anderen Menschen zu begegnen? Dabei die Chance zu haben, auf Steinböcke, Füchse, Gämse, Adler und sogar Schlangen zu treffen? Fernab vom Mobilfunknetz, Seilbahnstationen und bewirteten Hütten umgeben von mehreren 4000er Gipfeln zu wandern? Dafür musst du nicht einmal in den Flieger steigen. Das größte Wildnisgebiet Italiens (mit über 15000 ha) und des gesamten Alpenbogens liegt nicht einmal 30 Minuten Autofahrt vom Lago Maggiore entfernt.

Was ist das Val Grande?

Nach jahrhundertelanger intensiver alp- und forstwirtschaftlicher Nutzung greifen Soldaten Mussolinis und Hitlers im Zweiten Weltkrieg antifaschistische Partisanen an, die sich in den Bergen des Val Grande zurückgezogen hatten und zerstören dabei über 200 Alphütten, 4 Refugios und 50 Häuser in Cicogna. Über 150 Partisanen werden dabei getötet und die massiven infrastrukturellen Schäden führen zu einer Entsiedelung des Gebietes. Die Natur erobert ihr Gebiet schließlich so erfolgreich zurück, dass die piemonter Region 1992 zum Nationalpark erklärt wird. Im Laufe der Zeit konnte sich so eine äußerst artenreiche Flora und Fauna ansiedeln, die das Herz jeden Naturliebhabers höher schlagen lässt. Das ist Wildnis!

Die dichte Vegetation unter 1800 Metern reicht von Kastanienwäldern, Buchen und Erlen bis zur Grasheide. Oberhalb der Baumgrenze befindet sich alpines Gelände mit Ausblick auf das Monte Rosa Massiv und seinen 12 (!) 4000er Gipfeln und Gletschern. Beim Wandern sieht man häufig Feuerlilien, Fingerhut, Alpenrosen und wilde Him -und Brombeeren. Außerdem ist die Region bekannt für ihren Pilzreichtum (Pfifferlinge, Marone und vor allem Steinpilze).

Im Gebirge kann man auf Steinböcke, Murmeltiere, Gämse und Adler treffen. In tieferen Regionen fühlen sich Eidechsen (Mauereidechse, Westliche Smaragdeidechse), Salamander (u.a. Feuersalamander), Skorpione und auch Schlagen (vor allem Vipern) wohl. Diese wärmen sich gerne an Sonnentagen im Gras oder auf Wegen auf. Allerdings fliehen sie bei Erschütterungen durch z.B. Wanderschuhe und einen festen Tritt schnell in Felsritzen, so dass die Chancen auf eine Sichtung relativ gering sind. Häufig zu sehen sind außerdem Rehe, Hirsche, Füchse, Dachse, Marder, Wiesel, Hasen, Siebenschläfer und Mäuse. Abends sollte man sich zudem intensiv auf Zecken absuchen!

Westliche Smaragdeidechse im Val Grande

Fuchs im Val Grande

Übernachtung im Park

Zelten ist im Val Grande offiziell verboten. Die einst verfallenen Häuser wurden allerdings als Schutzhütten, den sogenannten Biwaks wieder aufgebaut und dienen heute als bequeme und kostenlose Übernachtungsmöglichkeit für Wanderer. Es handelt sich um einfache Einrichtungen mit Kamin zum Aufwärmen, Tischen und hölzernen Bank-Betten. Bei Überfüllung (z.B. in den Ferien oder an Feiertagen) wird das Zelten in der direkten Nähe der Biwakhütten aber geduldet. Informationen zu den Standorten der Bivacchis und Refugis findet man auf der offiziellen Webseite des Nationalparks http://www.parcovalgrande.it/rifugi.php.

Sicherheit

„Das Val Grande ist, wegen seiner Eigenschaften, gefährlich.“

Diesen Hinweis findet man auf den oft vergilbten Nationalparkschildern, die am Anfang der Hauptwanderrouten zu finden sind. Was bedeutet das?
Die Wanderrouten und auch die Hauptwanderwege sind meistens schlecht gekennzeichnet und man trifft nur selten auf andere Wanderer. Ein GPS-Gerät kann hier hilfreich sein.
Das Gelände ist zum Teil schwierig und es müssen häufig große Distanzen überwunden werden. Da es fast im gesamten Gebiet keinen Mobilfunkempfang gibt, sollte man Unfälle, Stürze und Bisse durch z.B. Giftschlangen meiden. Hier kann ein Erste-Hilfe-Set sinnvoll sein, vor allem bei mehrtägigen Touren. Durch die alpinen Gegebenheiten des Geländes ist immer mit einem raschen Wetterwechsel sowie Gewitterstürmen und Kältestürzen zu rechnen. Die Mitnahme von Wetterschutzkleidung, einer Taschenlampe und einer Karte mit den jeweiligen Standorten der Schutzhütten wird empfohlen.

„Die Wildnis gewährt uns Augenblicke mütterlicher Geborgenheit – wahre, echte, greifbare Momente“Alberto Actis (Präsident des Nationalparks)

Das Ganze ist Teil des kleinen Abenteuers Val Grande. In der letzen Wildnis Europas kann der Besucher als Selbstversorger tagelang durch Wälder, Täler und Berge des Nationalparks wandern, bei tollen Aussichten zur Ruhe kommen, Tiere fotografieren, sich bei schlechtem Wetter in Biwakhütten am Kanonenofen wärmen, den Geräuschen der Natur lauschen oder im Herbst den europäischen Indian Summer erleben. Durch die kurze Distanz zum Urlaubsgebiet Lago Maggiore bieten sich aber auch Tagesausflüge an. Man muss nicht unweigerlich im Park übernachten, um einen schönen Eindruck vom Val Grande zu bekommen. Wir haben im Frühjahr aufgrund der unsicheren Wetterlage (und des Lockrufs von Pizza, Pasta und Mascarpone-Creme aus den Restaurants am See) auf dem Campingplatz La Quiete am Lago di Mergozzo übernachtet und von hier aus tolle Tageswanderungen unternommen.

Abendstimmung am Lago di Mergozzo

Lago di Mergozzo bei Nacht

Unsere Wandervorschläge

Im folgenden findet ihr zwei abwechslungsreiche Tageswanderungen im Val Grande. Jede bietet euch einen grandiosen Blick über den Lago Maggiore. Die erste Tour führt euch durch das malerische Cicogna und über die historisch bedeutsame Strada Sutermeister. Die zweite Tour besticht dagegen mit einer wunderschönen Aussicht auf die umliegenden Gipfel der 4000er.

 

Wanderung 1

Cicogna – Alpe Pra – Pogallo – Rio Pogallo – Strada Sutermeister – Cicogna

Diese abwechslungsreiche Rundtour startet in Cicogna über die Alpe Pra nach Pogallo, dem Kern des Val Grande und zurück durch die wilde Schlucht vom Rio Pogallo auf der historischen Strada Sutermeister. Hier ist wirklich alles dabei! Grandiose Ausblicke über den Lago Maggiore und den Lago d´Orta, Bergpanorama und Almidylle, Informationstafeln zur Geschichte des Val Grande (wenn auch in italienisch), Kastanienwälder, mehrere Wasserfälle und eine tosende Klamm, die aber sogar eine Badestelle bereithält.

Anfahrt

Von Verbania aus geht es zuerst mit dem Auto über die unglaublich enge (ich nenne es mal 1/2-spurige) Straße hoch nach Cicogna. Hier sollte man sich definitiv an die Geschwindigkeitsbegrenzung von 30km/h halten und am besten vor den engen Kurven hupen, damit der entgegenkommende Verkehr (und ja, hier fahren tatsächlich einige Autos) früh genug gewarnt ist. Begegnet man anderen Fahrzeugen, dann bleibt meist nur das Einklappen der Seitenspiegel und das Zurückrollenlassen bis zur nächsten Ausbuchtung. Doch selbst dann kann es noch knapp werden! Somit beginnt das Abenteuer also schon bei der Anfahrt. Der Blick aus dem Fenster lässt die Vorfreude auf die Wanderung allerdings nochmal erheblich ansteigen.

Straße nach Cicogna im Val Grande

Weg nach Cicogna im Val Grande

Tunnel nach Cicogna im Val Grande

Zur Alpe Pra

In Cicogna, dem einzigen ganzjährig bewohnten Ort im Nationalpark, gibt es mehrere kostenlose Parkplätze an der Kirche und weitere Parkbuchten an der Straße, die links vor der Kirche abbiegt. Neben der Kirche beginnt der Wanderweg (durch eines der Nationalparkschilder gekennzeichnet) und führt durch Kastanienwald und Dorfruinen relativ steil (von 732m auf 1250m) auf treppenähnlichen Wegen hoch Richtung Alpe Pra. Dieser Sentiero Natura, ein Kulturweg, führt über terrassierte Hänge, die damals den Roggenanbau gesichert haben. Schilder informieren über dessen Ernte und damalige Verarbeitungsmethoden.

Das Refugio Alpe Pra ist ein genialer Ort um eine erste Pause zu machen. Sie wird allerdings in der Regel nur am Wochenende bewirtschaftet. Mit einem einzigartigen Panoramablick auf den Lago Maggiore, den Lago d’Orta und die umliegenden Berge fällt es nicht schwer wieder zu Atem zu kommen.

Dorfruinen in Cicogna

Dorfruinen in Cicogna

Mistkäfer im Val Grande

Wanderweg zur Alpe Pra

Mauereidechse beim Sonnen im Val Grande

Westliche Smaragdeidechse im Val Grande

Weg zur Alpe Pra im Val Grande

Weg zur Alpe Pra im Val Grande

Blick auf den Lago Maggiore von der Alpe Pra

Alpe del Braco

Von der Alpe Pra aus folgt man den Kennzeichnungen durch den Wald zur Alpe del Braco. Eine ruhige, idylische Alm mit tollen Ausblicken auf die Bergwelt auf 1220m.

Alpe del Braco im Val Grande

Alpe del Braco im Val Grande

Pogallo

Der Wanderweg führt uns nun durch Laubwald wieder herunter über die Alpe Caslù (904m) in das Dorf Pogallo (777m). Als wir diese Tour im Frühjahr machten, war der Boden noch komplett mit Laub und darunter sogar mit Schnee bedeckt. Durch den relativ steilen Abstieg sind wir ständig auf dem Laub ausgerutscht. Das Ganze ist etwas nervig, da man hier aber nicht an Abhängen entlanggeht, ist die Gefahr für ernsthafte Unfälle ziemlich gering. Es ist sogar ein sehr schöner Waldweg, da man mehrere Zuflüsse des Rio Pogallo überquert. Pogallo schließlich bietet eine Alm, die sonst nur auf Postkarten zu finden ist. Kitschiger geht es eigentlich nicht mehr. Kaum zu glauben, dass auch hier im Zweiten Weltkrieg 18 Partisanen ihr Leben durch Erschießungen ließen.

 

Pogallo im Val Grande

Pogallo im Val Grande

Rio Pogallo

Unser Weg führt uns durch Pogallo rechts über die Wiese Richtung Fluss. Wir durchwandern die Wilde Klamm über alte Brücken und an zahlreichen Wasserfällen vorbei. Dabei hat man das Tosen des Flusses die meiste Zeit im Ohr und kann ständig einen Blick auf den mal smaragdgrünen, mal dunkelblauen Rio Pogallo mit seinen großen Felsen werfen. Grandios!

Wasserfall am Rio Pogallo im Val Grande

Schlucht vom Rio Pogallo

Strada Sutermeister

Auf der historischen Strada Sutermeister geht es zurück nach Cicogna. Sie wurde vom Schweizer Carlo Sutermeister Ende des 19. Jahrhunderts für die Holzfäller erbaut, die für die Holzindustrie des damaligen Großindustriellen arbeiteten. In Cicogna sehen wir gleich drei Füchse an verschiedenen Plätzen. Sie scheinen in dem kleinen Örtchen gerne auf Diebestour zu gehen. Augen aufhalten lohnt sich also! Zurück an unserem Auto haben wir 9,7 Kilometer und 764 Höhenmeter zurückgelegt. Die Tour wird in Führern mit T3 (anspruchsvolles Bergwandern) beurteilt und es sollten mindestens 5 Stunden Zeit eingeplant werden. Durch unsere Fotopausen (und weil wir generell ständig unsere Zeit vertrödeln) haben wir allerdings 6 Stunden benötigt.

 

Cicogna im Val Grande

 

Wanderung 2

Cappella Fina – Pian Cavallone – Monte Todano – Pian Cavallone – Pizzo Pernice – Cappella Fina

Diese alpine Rundtour startet am Parkplatz an der Capella Fina. Auch hier ist schon die Anfahrt mit dem Auto bei Steigungen von bis zu 12% ziemlich beeindruckend. Der Aufstieg am Talsattel führt mit ständigen Ausblicken auf den Lago Maggiore hoch zum Monte Todano. Von dessen Gipfel bieten sich atemberaubende Panoramaausblicke auf die Berge und Täler des Val Grande und das Monte Rosa Massiv. Der Abstieg von der kleinen Kapelle Valgrande Martire führt schließlich durch dichten Wald am Pizzo Pernice entlang zurück zur Capella Fina.

Capella Fina

Wir beginnen den Aufstieg zum Monte Todano bei schwülen Temperaturen und einem wolkenverhangenem Himmel. Eine Wetterapp zeigt Gewitter am Nachmittag, die andere sagt lediglich starke Bewölkung voraus. Hoffentlich bleiben uns Blitz und Donner auf dem Berg erspart. Von der Capella Fina (1100m) erreicht man die Alpe Cavallotti schon nach circa 10 Minuten Aufstieg und bekommt erste Blicke auf den Lago Maggiore. Wir haben leider Pech und es ist ziemlich diesig, so dass sich der See nicht annähernd so klar wie in Cicogna präsentiert. Dafür sonnen sich wieder einmal einige Smaragdeidechsen in den wenigen Sonnenstrahlen, die durch die Wolkendecke durchblitzen.

Panoramablick oberhalb der Capella Porta

Aufstieg zum Monte Todano

Wanderer mit Panoramablick im Val Grande

Wandern im Val Grande

Westliche Smaragdeidechse im Val Grande

Pian Cavallone

An einem Waldrand entlang geht es weiter hoch auf einem Bergsattel Richtung Pian Cavallone (1564m). Auf dem Weg kommen wir an einem einsamen Bivacchi mit schöner Terasse vorbei. Mit seiner Albergo-Ruine aus dem Zweiten Weltkrieg ist es ein toller Ort für eine erste Pause. Wir sind auf unseren Wanderungen ständig flüsternd und leise auftretend unterwegs, um so viele Tiere wie möglich zu Gesicht zu bekommen, aber natürlich meistens ohne den gewünschten Erfolg. Kurz vor dem Bivacchi hören wir dann allerdings einen seltsamen Schrei. Ein Adler?

Wir starren beide zuerst in die Luft und danach ratlos uns an. Dann zeigt Stefan auf ein paar Gämsen am Waldrand. Leider haben sie uns schon gesehen und flüchten, bevor wir auch nur die Kamera aus dem Rucksack holen können, in den Wald. Trotzdem bin ich zufrieden. Zwei Tageswanderungen und wir haben schon etliche Eidechsen, Vögel, Füchse und Gämse gesehen und sind dabei wahrscheinlich noch an 3x so vielen Tieren vorbeigelaufen. In Deutschland ist unsere Ausbeute meistens, sofern wir nicht durch einen Wildpark wandern, deutlich geringer.

Ausblick vom Monte Todano im Val Grande

Blick vom Pian Cavallone im Val Grande

Valgrande Martire

Von der Kapelle Valgrande Martire hat man nochmal einen tollen Ausblick, der auf der einen Seite bis auf das Monte Rosa Massiv und auf der anderen Seite tief runter in das Tal vom Pizzo Pernice reicht. Von hier geht es circa 15 Minuten steil hinauf bis zum Gipfel vom Monte Todano (1667 Meter).

Der Gipfel vom Monte Todano im Val Grande

Refugio Cavallone

Zurück zum Refugio Cavallone auf 1530 Meter (36 Plätze, geöffnet und bewirtet von Juni bis Oktober) geht es an dem Osthang des Pizzo Pernice wieder hinab Richtung Capella Fina. Dabei oft durch dichten Wald, in dem Schilder auf die Flora und Fauna des Waldes aufmerksam machen. Leider finden wir die Gämsen nicht mehr wieder.

Fauna im Val Grande

Abstieg zur Capella Fina im Val Grande

Diese aussichtsreiche Rundtour umfasst 16,3 Kilometer und 764 Höhenmeter. Sie wird in Führern mit T2 (anspruchsvolles Bergwandern) beurteilt und es sollten circa 5 Stunden Zeit eingeplant werden. Obwohl diese Wanderung tolle Ausblicke und das bessere Bergfeeling aufgrund der apineren Höhe offenbart, ist die erste Tour ab Cicogna dennoch mein persönlicher Favorit. Der relativ lange Abstieg durch den Wald am Pizzo Pernice und der nahezu identische Rück -wie Hinweg (man wandert an der gleichen Flanke, nur einige Höhenmeter tiefer) kann ziemlich schnell langweilig werden. Eventuell kann man den Rückweg noch etwas abwechslungsreicher gestalten?

„Die Wildnis ist nicht ein Ort, den wir besuchen -sie ist unsere Heimat.“Gary Snyder

Hast du eine der beiden Wanderungen ausprobiert? Wie hat sie dir gefallen? Oder hast du eine schöne Alternative zu dem Rückweg der Monte Todano-Tour gefunden? Wir würden uns sehr über euer Feedback freuen!

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